„Pflanzen spiegeln, was in der Seele des Pflückers vorhanden ist“,
dieses Zitat habe ich einmal in einem Interview mit dem Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl aufgeschnappt. Jede Mutter kann es spüren, wenn ihr Kind einen Mini-Gänseblümchen-Strauss aus dem Garten mit strahlenden Augen und voller Freude überreicht. In den gepflückten Gänseblümchen spiegeln sich neben der Freude beim Pflücken auch etwas Unaussprechliches des Kindes. Seelisches wirkt auf Seelisches.
Dass das Johanniskraut mehr ist als die Summe seiner Inhaltsstoffe, spüren wir. Die meisten Menschen, die ich kenne, ziehen ein pflanzliches Heilmittel einem chemischen Medikament vor. Das mag zum einen an den Nebenwirkungen liegen, die sie fürchten. Ich denke aber viele spüren intuitiv, dass eine künstlich hergestellte Pille sich nicht harmonisch in ihr System einfügt, während ein pflanzliches Präparat das sehr wohl tut. Natürlich hat man nicht immer diese Wahl und ein Medikament kann lebensrettend sein.
Wenn wir in die Vergangenheit schauen, dann finden wir bei den verschiedenen Völkern eine grosse Hochachtung vor den und ein tiefes Wissen über die Pflanzen. Die Rigveda ist die älteste der vier Veden, die wichtigsten Schriften des Hinduismus. Darin steht:
„Pflanzen sind Mütter, sie nähren alle Lebewesen.“
Bäume werden in Indien zum Beispiel als Ekstatiker gesehen. Sie sind tief Meditierende. In ihrer Ekstase sind sie gleichzeitig mit der Erde verwurzelt, mit Pilzen verbunden und darüber – über viele 100 Kilometer – mit anderen Pflanzen vernetzt. Klingt nach einem wunderschönen, spirituellen Zustand. Ziehen uns Bäume darum so magisch an?
In anderen Kulturen wie Nordamerika oder in Russland gab und gibt es noch Medizinmänner oder Schamanen. Sie sind nicht nur die Heiler der Menschen, sondern auch die Vermittler zwischen den Welten. Und als solche haben sie eine enge Beziehung zum Reich der Heilpflanzen. Sie pflücken Pflanzen nie einfach so und geben sie auch nicht schnell mal eben als Heilmittel ab. Schamanen gehen in Beziehung zu den Pflanzen, ganz speziell zu den Heilpflanzen mit denen sie arbeiten. In einem Ritual kommunizieren sie und verschmelzen unter Umständen sogar mit den Pflanzen. So erinnern sie die Pflanzen an ihre Aufgabe, erhalten Informationen von der Pflanze und bedanken sich. Dieser sehr bewusste Vorgang beansprucht viel Zeit und Hingabe. Ein Heilmittel, das aus einer solchen, intensiven Begegnung hervorgeht, schwingt anders. Man kann sich vorstellen, dass es tiefgreifender auf verschiedenen Ebenen wirkt als ein Hustensirup aus der Apotheke.
Von den alten Kulturen können wir viel lernen über die Energetik der Heilpflanzen, ein Wissen, das heute fast keine Rolle mehr spielt. Gleichzeitig müssen wir ins Heute schauen, denn alles entwickelt sich ständig und unsere Umwelt, unser menschlicher Körper sind heute nicht mehr gleich, wie vor 5000 Jahre, nicht mal, wie vor 50 Jahren oder vor einem Jahr. In einem Jahr sind 98% alle unsere Körperzellen ausgetauscht. Wir sind also im materiellen Sinne nach einem Jahr praktisch ein neuer Mensch! Darum müssen wir schauen, was heute ist: wie sind die Pflanzen, wie bin ich? Welche Pflanze und in welcher Form kann sie mich unterstützen? Um das herauszufinden muss ich im Jetzt sein und mich offen den Pflanzen zuwenden.
Es geht um die Beziehung zwischen der Pflanze und mir.
So einzigartig wie ich bin, ist es auch die Pflanze und folglich auch unserer Beziehung. Was ich mit der Birke erlebe ist etwas Einmaliges zwischen uns. Und wenn ich die Birke bitte, mich in ihr Energiefeld einzulassen, dann werde ich möglicherweise feststellen, dass es in meinem Körper an den Stellen zu fliessen beginnt, die belastet sind und es hier zu einer Harmonisierung kommt. Immer wieder machen wir eine solche Übung in Gruppen. Jeder spürt das Kribbeln oder Fliessen der Baumenergie woanders in seinem Körper oder auch in seiner Aura. Es gibt also nicht DIE Pflanze gegen Husten oder Depression. Es gibt aber eine oder auch mehrere Pflanzen, die mir jetzt bei meinen Beschwerden helfen können.
Zum Schluss, und das ist mir ganz wichtig zu sagen, bleibt immer die Frage: wie kann ich die Pflanze unterstützen? In einer Beziehung gibt es ja zwei Mitspieler und das Ganze läuft nur, wenn es einen gegenseitigen Austausch gibt. Darum war es schon immer so, dass man den Pflanzen auch etwas von sich gibt: früher gab man gerne einen Schluck Bier oder eine Kupfermünze in den Boden. Wenn ich die Pflanzen heute frage, dann wünschen sie sich meist ein Lied, ein Mantra, einen Tanz oder ein Anerkennen ihrer Schönheit.
Dr. Andrea Küthe Albrecht*, Freya-Heilpflanzenschule
* Meine liebe Freundin und Wegbegleiterin Andrea habe ich 2014 bei einer Ayurveda-Studienreise in Pune/Indien kennengelernt. Seitdem unternehmen wir immer wieder gemeinsame Ausflüge, Exkursionen oder organisieren gemeinsame Retreats. Jedes Treffen ist eine Bereicherung und unseren Austausch schätze ich sehr. Ich danke dir, liebe Andrea, für diesen Gastbeitrag.
Titelbild und Foto im Beitrag: Prof. Dr. U. Albrecht